text & kritik: Das afrikanische Gesicht, das in deinem Raum spricht
Artikel von Prof. Dr. Sarah Lennox (U. of Massachusetts) über die Werke von Kum' a Ndumbe III. und Uche Nduka, erschienen in text & kritik, Sonderausgabe zu 'Literatur und Migration', Oktober 2006.
Das afrikanische Gesicht, das in deinem Raum spricht
Postkoloniale Autoren in Deutschland: Kum’a Ndumbe III und Uche Nduka
Von Sara Lennox
Erschienen in: text & kritik, Sonderausgabe zu 'Literatur und Migration', Oktober 2006.
[...] Der vorliegende Essay untersucht Texte der Schriftsteller Kum’a Ndumbe III aus Kamerun und Uche Nduka aus Nigeria und wird zeigen, dass und inwiefern in Deutschland schreibende afrikanische Autoren die Darstellung ihrer Beziehung zu Deutschland selbst in die Hand genommen haben. [...]
Obschon sie sich sonst in fast jeder Hinsicht unterscheiden, sind Kum’a Ndumbe III und Uche Nduka Autoren, die im Sinne des „The Empire Writes Back“ im deutschen Raum sprechen und die Position des afrikanischen Subjekts gegenüber den weißen Deutschen der Vergangenheit und Gegenwart zum Ausdruck bringen.
Der 1946 geborene Kum’a Ndumbe III kam 15-jährig zunächst nach Deutschland, wo schon andere Mitglieder seiner Familie studiert hatten, und schrieb sich nach seinem Münchener Abitur 1967 an der Universität von Lyon ein, wo er sein Studium 1975 mit der Promotion abschloss.
Während er studierte und später als Dozent in Lyon arbeitete, schrieb er acht Theaterstücke, vier davon auf Deutsch („Lumumba II“, Juli 1968, „Ach Kamerun! Unsere alte deutsche Kolonie...“, Januar 1970, „Kafra – Biatanga. Tragödie Afrikas“, Februar 1970 und „Das Fest der Liebe (Die Chance der Jugend)“, März 1970) und vier auf Französisch („Cannibalisme“, 1973, „Amilcar Cabral – ou tempête sur la Guinée-Bissau“, 1976, „Le soleil de l’aurore,“ 1976 und „Lisa, la putain de . . .“, 1976).
Die französischen Stücke sind in der Editions Pierre Jean Oswald in Paris veröffentlicht, die deutschen dagegen erscheinen erst jetzt zusammen mit anderen literarischen, historischen und politischen Texten von Kum’a Ndumbe III in einer elfbändigen Ausgabe in Zusammenarbeit mit AfrikaAvenir (Doula, Kamerun) im neu gegründeten Berliner Verlag Exchange & Dialogue.
In der ersten und bisher ausführlichsten Untersuchung der Literatur Kameruns schreibt Richard Bjornson: „Das Ziel aller Theaterstücke von Kum’a Ndumbe ist das gleiche – ein Bewusstsein für die Gründe des Misslingens afrikanischer Unabhängigkeit zu schaffen und gleichzeitig das Bedürfnis der Afrikaner, sich von Unterdrückung zu befreien, als ein berechtigtes zu bestätigen.“
In ihrer politischen Zielsetzung und Parteilichkeit sind die Stücke von Kum’a Ndumbe III denen des deutschen Dokumentartheaters der 60er und 70er Jahre (Heinar Kipphardt, Peter Weiss, Hans Magnus Enzensberger) vergleichbar, einer Art von Theaterstücken also, so Ralf Schnell, die „die Aneignung politisch-sozialer Wirklichkeit auf der Bühne durch die Präsentation authentischer Materialien versucht.“
Mit Figuren, die die dramatische Illusion durchbrechen und zu den Zuschauern in Kontakt treten, mit informativen Titeln und musikalischen Zwischenspielen erinnern die Stücke zudem formal an Brechts Episches Theater, mit dem der Autor, Bjornson zufolge, auch vertraut war. Der Einsatz von typisierten Figuren (zum Beispiel „der Erdölagent“ und „der Militärattaché“ in „Kafra – Biatanga“) lässt zudem auf den Einfluss des Expressionismus und des französischen Theaters des Absurden schließen, während der facettenreiche Humor, der bis zu Slapstick reicht, an die karnevalesken Techniken von Jérôme Savarys „Grand Magic Circus“ denken lässt.
Nach Ansicht Bjornsons gehört Kum’a Ndumbe III zu den erfolgreichsten unter den Dramatikern Kameruns seiner Generation, wenn es darum geht, traditionelle und neue Formen auf der Bühne zu einer Synthese zu bringen. Gleichzeitig hebt Bjornson jedoch hervor, dass Techniken wie Musik, Tanz und die Beteiligung der Zuschauer auch Bestandteil der traditionellen Dramaturgie Kameruns sind, der Autor also auch auf diesem Weg zu seiner Auffassung vom „totalen Theater“ gekommen sein kann.
In diesem Sinne bezeichnet auch Kum’a Ndumbe III selbst die traditionelle afrikanische Gesellschaft als Quelle seiner Theaterkonzeption: „Der wesentliche Einfluss für mich ist das afrikanische Dorffest, an dem alle teilnehmen und während dessen es keine zwei Lager gibt, sondern eine Gemeinschaft, die kreiert und improvisiert.“ Einige seiner Stücke enden mit einem Fest, bei dem eine neue kollektive Haltung gegenüber den sich verändernden Ausbeutungsstrukturen zum Ausdruck gebracht wird.
Allerdings erliegt Kum’a Ndumbe III nicht der Versuchung, das traditionelle oder moderne Afrika als idyllische Alternative zur westlichen Welt darzustellen. Im Gegenteil, Stücke wie „Lumumba II“ oder „Le soleil de l’aurore“ prangern auch Diktatur und Korruption an, von denen viele afrikanische Länder seit der Unabhängigkeit heimgesucht worden sind.
Das dargestellte Afrika ist zudem ein durch und durch modernes und auf Geldwirtschaft basierendes – was in dem Stück „Kafra – Biatanga“ besonders deutlich wird, wenn die Schauspieler an einer Stelle die Notwendigkeit, zu Ende zu spielen, nicht mit ‚afrikanischem’ Gemeinschaftsgefühl begründen, sondern mit ihrer Verpflichtung den Zuschauern gegenüber, die den Eintritt bezahlt haben.
Das kürzlich im Druck erschienene Stück „Ach Kamerun! Unsere alte deutsche Kolonie…“ ist nicht nur wegen der Darstellung der deutschen Kolonialzeit von besonderem Interesse, es ist auch in vieler Hinsicht charakteristisch für die Theatertechniken, die Kum’a Ndumbes III in seinen Stücken einsetzt.
Dieses vom Epischen Theater beeinflusste „Dokumentarstück“, so der Untertitel, beginnt im Jahr 1868 mit einer Begegnung zwischen dem Duala-König Bell und einem Vertreter der deutschen Firma Woermann namens Thormählen. In einem die deutsche Klassik zitierenden Eingangsdialog („Ich heiße Sie willkommen, Herr Thormählen, Deutscher am Kamerunfluss. Was bringt Sie hier zu meinem Palast?“, AK 9) verhandeln die beiden Figuren über eine „Niederlassung in Kamerun zum Zwecke des Handels“ (AK 13).
Die folgenden Szenen, in denen dargestellt wird, wie König Bell und König Akwa im Jahre 1884 Vertretern der deutschen Regierung „die Rechte der Oberherrschaft der Gesetzgebung and Verwaltung“ übergeben, sind in einem Tonfall gehalten, der die Gleichwertigkeit der Mitglieder des kameruner Königshauses und der deutschen Funktionäre unterstreicht. Während die Kameruner hier als den Deutschen Ebenbürtige sprechen, betonen andere Szenen durch Einsatz von Ironie und Techniken der Desillusionierung die Künstlichkeit der Handlungen auf der Bühne.
Die Figuren Pantänius und Ekwalla beispielsweise, ein Agent Woermanns und ein kameruner Händler, erinnern sich selbst und die Zuschauer daran, dass sie in einem Stück spielen: „Pantänius: Sogar jetzt auf dem Theater wollt Ihr Neger Euer Elfenbein und Palmöl und Palmkerne und Tralala verkaufen. Die Zuschauer sind per pedes gekommen und können eure Lieferung nicht mit nach Hause tragen. Ekwalla: O, Panthänius, du hast recht. Ich hatte total vergessen, dass wir auf der Bühne spielen. Das Handeln liegt mir halt so im Blut.“ (AK 14f.)
Als ein dritter kamerunischer König, Kum’a Mbape (in der Realität ein Großvater Kum’a Ndumbes III), König Akwa und König Bell als „ihr Ungeheuer, ihr Unmöglichen, ihr Verräter!“ bezeichnet, nimmt König Akwa die Anspielung auf die antike Tradition auf, indem er die beiden zurechtweist: „O ihr Götter des Olymps! Kum’a Mbape vergisst, dass er auf der Bühne steht. Mann, du bist im Theater. Mäßige deine Sprache.“ (AK 21)
Und im Kontext des von Kum’a Mpabe organisierten bewaffneten Widerstands gegen das neue Arrangement wendet sich ein Aufständischer an das Publikum: „Ja verehrte Zuschauer. So kam es, dass unsere Partei den Kampf verlor. Wir wurden niedergemetzelt, wir mussten die Flucht ergreifen.“ (AK 24)
Ein anderes Verfahren, das an Brecht erinnert, findet sich in einer Szene, in der afrikanische Söldner aus Dahomey im Dienste der Deutschen versuchen, die deutschen Gräueltaten der Kolonialgeschichte auf die Bühne zu bringen. Indem die Schauspieler, die deutsche Funktionäre spielen, das Geschehen in die Hand nehmen, zeigen sie etwas, was den Afrikanern gerade verwehrt wird: Sie machen sich zum Subjekt der Handlung. Ein in Brechtscher Manier auf den Hintergrund der Bühne projizierter Textauszug aus den Akten des Reichskolonialministeriums Berlin informiert am Ende der vierten Szene, dass nackte afrikanische Frauen mit Flusspferdpeitschen geschlagen wurden, während ihre Männer hilflos zusehen mussten.
Die letzten vier Szenen des Stücks spielen im Jahr 1912, zu diesem Zeitpunkt ist auch der letzte Anschein von höflichem Umgang bereits verschwunden. In slapstickhaften Szenen werden die Kameruner von deutschen Beamten mit der Begründung enteignet, dass die „Negerhütten“ (AK 33) im Zentrum der Hauptstadt Douala die Gesundheit der Europäer gefährden. Protestierenden Kamerunern wird die Möglichkeit zur Artikulation verwehrt, und selbst „der afrikanische Fürst“ wird dazu erniedrigt, den Text zu wiederholen, den der Bezirksamtmann die versammelte Menge nachsprechen lässt: „Und ein Unterentwickelter ist geistig unterentwickelt. Und er wird nie begreifen, was die deutsche Regierung will.“ (AK 36) Während im vorangehenden Stück die Solidarität der Kameruner untereinander durch gemeinsame Tänze zum Ausdruck gebracht worden ist, „zittern“ die hier versammelten Menschen „vor Angst (…) und weichen in furchtbarer Panik auf ihre Sitze.“ (AK 35)
Als Duala Manga, der als Mitglied des Königshauses deutsches Recht in Bonn studiert hatte, das Recht einklagt, kameruner Ansprüche in Berlin zu Gehör zu bringen, ist die Antwort „schallendes Lachen aus einem Lautsprecher“ (AK 41). Hier können die kameruner Figuren auch keinen Kommentar mehr zu dem Spielverlauf abgeben, stattdessen kommentiert eine Stimme aus dem Lautsprecher: „Oh je, ich bin gespannt, ich bin wirklich gespannt, was daraus wird.“ (AK 41)
Duala Manga (ebenfalls ein reales Mitglied aus Kum’a Ndumbes III Familie) ruft schließlich zum Aufstand auf. An diesem Punkt des Widerstands kann eine afrikanische Figur im Dialog mit dem Bezirksamtmann das Publikum noch einmal daran erinnern, dass es sich im Theater befindet: „Hier befehlst du nicht, Röhm, spiele deine Rolle weiter und langweile das Publikum nicht.“ (AK 40) Schließlich trifft die Nachricht ein, dass Kameruner Soldaten aus anderen Ethnien davon überzeugt worden sind, sich am Aufstand zu beteiligen, da sie verstanden haben, dass die Revolte gegen die Deutschen gemeinsames Interesse aller Kameruner ist. Als der Bezirksamtmann sich mit den Worten an eine Versammlung richtet: „Nein, ihr seid keine Menschen, lauter unterentwickelte Tiere“, versetzt ihm Duala Manga eine Ohrfeige, um dann nochmals in Anspielung auf die klassische Theaterdiktion den Soldaten zuzurufen, die ihn ergreifen wollen: „Weichet von mir!“ (AK 48)
In der letzte Szene werden er und sein Sekretär mit sofortiger Wirkung zum Tod durch Erhängen verurteilt, doch bevor er stirbt, kann er noch eine Rede in der Manier des klassischen tragischen Helden halten: „Aber ich gehe zu den Vätern, und ich bringe ihnen die Botschaft eurer Herzen. Ich bringe ihnen die Botschaft unserer Freiheit.“ (AK 49) Im Anhang der Druckfassung dieses Stücks belegen Dokumente aus der Kolonialzeit die im Stück dargestellten historischen Ereignisse. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt des neu erwachten Interesses an Deutschlands kolonialer Vergangenheit verdient dieses nicht zuletzt sprachlich-stilistisch kunstvolle Stück eine Inszenierung aus heutiger Sicht, die das deutsche Publikum mit dem Theatertalent des Kameruner Autors bekannt macht.
Seit den 70er Jahren hat Kum’a Ndumbe III keine Theaterstücke mehr und nur gelegentlich belletristische Texte geschrieben. Er ist jedoch inzwischen ein anerkannter, wenngleich ziemlich unbequemer politischer Kommentator von afrikanischen und globalen Themen. Spätestens seit 1992 befindet er sich im Konflikt mit der kamerunischen Regierung, was sich 1994 noch verschärfte, als er zum Thronfolger der Familie Bele Bele ernannt wurde. Grund dafür ist im Wesentlichen, dass er sich weigert, „dafür zu sorgen, dass bei Wahlen in Douala (...) die Oppositionsparteien nicht zu Wort kommen“ . Nach seiner Habilitation 1989 lehrte Kum’a Ndumbe III mit kurzen Unterbrechungen von 1990 bis 2001 am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften. Als dann „Sachzwänge“ an der FU 2001 zu der Entscheidung führten, dass „das größte politikwissenschaftliche Institut Europas ohne Afrika auskommen“ sollte , bemerkte Kum’a Ndumbe III selbst dazu: „Afrika ist für [deutsche] Politikwissenschaftler bislang kein relevantes Thema.“
Wenn der talentierte junge kamerunische Literaturwissenschaftler und Autor Patrice Nganang vor kurzem beklagte: „L’autocensure est une des gangrenes qui ruine la littérature camerounaise“ , dann gilt das offenbar nicht für Kum’a Ndumbe III, der weder in den 70er Jahren noch später bereit war, seine politisch engagierte Botschaft zur Lage Afrikas zurückzunehmen [...]
[...] Als afrikanische Autoren, die an Deutschland ‚zurück schreiben’, sprechen Kum’a Ndumbe III und Uche Nduka gleichzeitig für sich, für ihre Herkunftsländer, für Afrika, für die globale Schwarze Diaspora und für eine heterogene Bevölkerung im deutschen Raum.
text & kritik: Das afrikanische Gesicht, das in deinem Raum spricht
Artikel von Prof. Dr. Sarah Lennox (U. of Massachusetts) über die Werke von Kum' a Ndumbe III. und Uche Nduka, erschienen in text & kritik, Sonderausgabe zu 'Literatur und Migration', Oktober 2006.