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"Von Sidi Bouzid nach Tahrir: Zwei Schritte vor, einen zurück?“ Kritische Bestandsaufnahme 5 Jahre nach den nordafrik. Revolten

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Anfang 2011 löst die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi im zentraltunesischen Sidi Bouzid Aufstände im ganzen Land aus. Innerhalb kürzester Zeit entwickeln sich die Proteste zu einer massiven Demokratiebewegung, die den langjährigen Machthaber Ben Ali zu Fall bringt. Die Bewegung greift auf alle nordafrikanischen Staaten über und nimmt völlig unterschiedliche Verläufe. So wird der Tahrir-Platz in Kairo als Schauplatz von Kundgebungen und Protestcamps zum Symbol der ägyptischen Rebellion, die den Präsidenten Mubarak zu Fall bringt. In Marokko reagiert das Regime auf die Proteste mit (Schein-)Reformen, in Algerien mit einer Mischung aus Zugeständnissen und Repression. In Libyen flammt ein von außen stark beförderter Bürgerkrieg auf, das einst wirtschaftlich prosperierende Land zerfällt.

Anfang 2016 flackern in Tunesien, das nach 2011 als Musterbeispiel der Demokratisierung gehandelt wird, erneut Aufstände gegen die wirtschaftliche Not auf. Hunderte von Demonstrierenden werden festgenommen. Das ägyptische Militärregime geht mit äußerster Härte gegen Kritiker*innen und Aktivist*innen vor. Die Situation in Algerien und Marokko hat sich kaum verändert, und Libyen reiht sich in die Reihe der „Failed States“ ein.

Fünf Jahre nach den „Arabellionen“ möchten wir gemeinsam mit Aktivist*innen und internationalen Expert*innen der nordafrikanischen Demokratiebewegungen in einem ganztägigen Symposium eine kritische Bilanz ziehen, den Status Quo analysieren und die Perspektiven diskutieren.

Welches waren die Ziele der Bewegungen in Tunesien und Ägypten und was sind die tatsächlichen Errungenschaften? Wie kann eine politische Neuorganisation aussehen, die zu tatsächlicher (institutioneller) Stabilität führt? Wie und in welcher Form haben demokratische Öffnungen stattgefunden? Was ist aus den Akteuren der Protestbewegungen geworden, was sind ihre Spielräume und Handlungsfelder? Welche nationalen, welche internationalen Akteure stehen den Demokratieprozessen weiterhin im Weg? Wie stehen die politischen Kräfte zueinander in Beziehung, namentlich säkulare und religiöse Gruppen? Wie ist es um die Menschen-, vor allem die Frauenrechte, heute bestellt? Spielen alternative politische und ökonomische Konzepte eine Rolle?

Referent*innen

Akram Belkaïd (Keynote) ist ein algerischer Journalist und Essayist und lebt in Paris. Es schreibt für Le Monde Diplomatique, OrientXXI, Afrique Magazine und Le Quotidien d'Oran. Seine neuesten Publikationen sind Retours en Algerié (2013) und Être Arabe aujourd'hui (2011). Er ist Spezialist für die Arabische Welt, Energiethemen und internationale Wirtschaftszusammenhänge.

Lina Ben Mhenni, geboren 1983 in Tunesien, ist Dozentin für Linguistik und Übersetzerin an der Universität Tunis. Sie ist eine politische Bloggerin und Internetaktivistin, die sich für Menschenrechte und gegen Zensur einsetzt. Ihr Internetblog A Tunisian Girl erreichte im Zuge Revolution in Tunesien 2011 weltweite Bekanntheit. In ihrem Buch „Vernetzt Euch!“ beschreibt sie das emanzipatorische Potential von sozialen Medien und ruft zur Mobilisierung für eine „direkte Demokratie im Interesse der Bürger*innen“ auf.

Wael Abbas, geboren 1974 in Ägypten, ist ein international anerkannter Journalist, Blogger und Menschenrechtsaktivist, der für Misr Digital (Ägyptisches Bewusstsein) bloggt. Abbas hat englische Sprache und Literatur an der Ain Shams-Universität in Kairo studiert. Er hat als Journalist und Fotograf für Al Dustour (Die Verfassung) gearbeitet, eine unabhängige Wochenzeitung in Kairo, und als Nahostkorrespondent für die DPA. Abbas hat sich einen Namen damit gemacht, Themen aufzuarbeiten, die generell von lokalen Medien umgangen werden: Proteste, Korruption und Polizeibrutalität.

Jihan el-Tahri ist eine ägyptisch-französische Filmemacherin, Autorin und Nachrichtenkorrespondentin. Sie hat preisgekrönte Dokumentarfilme verfasst, produziert und deren Regie geführt, dazu Bücher verfasst und über politische Konflikte im Nahen Osten und in Afrika berichtet. El-tahri war Mitglied des Exekutivbüros des Panafrikanischen Verbandes der Filmemacher*innen (FEPACI) und Generalsekretärin der Gilde Afrikanischer Filmemacher*innen in der Diaspora. Zudem war sie Nahost-Korrespondentin für den US News & World Report.

Salah Zater arbeitete von 2010 bis 2014 als Reporter für die privaten libyschen Fernsehsender Al-Assema TV und Al-Nabaa und hatte seine eigene Talkshow Talk without borders auf Tide TV. Wegen seiner Berichterstattung über andauernde Menschenrechtsverletzungen in Libyen, wie Kinderarbeit, sexuellen Missbrauch, Drogen- und Waffenhandel sowie Korruption, geriet er gleichermaßen ins Fadenkreuz von Regierungsvertreter*innen und Milizen. Seit Anfang 2015 befindet er sich in Hamburg, wo er zurzeit Gast der Hamburg-Stiftung für politisch Verfolgte ist.

Jamal Touissi engagiert sich seit 18 Jahren in der Zivilgesellschaft. Er hat mehrere Projekte initiiert und Initiativen von NGOs, politischen Parteien und Sozialunternehmen unterstützt. Touissi ist der Gründer und Geschäftsführer von „A Social Enterprise“ und ein Mitbegründer von „Chantiers de la Citoyenneté“, einer jungen marokkanischen NGO, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt.

Hadjar Aouardji wurde 1983 geboren und lebt in Paris. Sie hat in Kairo, Straßburg und Paris Politikwissenschaften und internationale Beziehungen studiert und promovierte am Sciences Po in Paris. Aouardji ist Autorin und Beobachterin des Mittleren Ostens.

Das Symposium findet in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Volksbühne Berlin statt.

Der Eintritt ist frei, die Anmeldung unter t.kulla(at)africavenir.org wird erbeten!

Die Veranstaltung findet in französischer und englischer Sprache statt, eine Übersetzung ins Deutsche kann leider nicht erfolgen!

Am Abend des 7. April um 19 Uhr zeigen wir im City-Kino Wedding (Centre Français de Berlin) den herausragenden Dokumentarfilm „Egypt’s Modern Pharaos“ (OengU) und wiederholen diesen am folgenden 8. April im Hackesche Höfe Kino, jeweils in Anwesenheit der Regisseurin Jihan El-Tahri. Die dreiteilige Chronik schildert 60 Jahre politischer Entwicklung Ägyptens, von den antikolonialen Protesten der 1950er Jahre bis zur Revolte 2011 und untersucht unter den drei „modernen Pharaonen“ – Nasser, Saddat und Mubarak – die politischen Hintergründe für das Erstarken des Islamismus im Land.

Des Weiteren bietet das vom 6. bis 13. April stattfindende Arabische Filmfestival ALFILM einen passenden Rahmen und eine willkommene Ergänzung des Symposiums.

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