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"Zwei Mal Namibia - Von den Anfängen bis heute", Bücherrezension von Hans-Christian Mahnke

Anfang des Jahres kamen zwei sehr unterschiedliche, dennoch miteinander verknüpfte deutschsprachige Namibia-Bücher auf den Markt: Die “Geschichte Namibias. Von den Anfängen bis 1990“ von Marion Wallace und Henning Melbers neuestes Werk “Namibia. Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit”.

Die britische Historikerin und Afrika Kuratorin an der Londoner British Library Marion Wallace legte 2011 die englische Version der “Geschichte Namibias” vor. Nun ist die deutsche Fassung im Brandes & Apsel Verlag/Basler Afrika Bibliographien erschienen, eine eins-zu-ein Übersetzung der englischen Erstfassung, hervorragend von Dag Henrichsen von den Basler Afrika Bibliographien lektoriert.

Um es vorneweg zu sagen: Das Buch ist für Namibier-Interessierte Pflichtlektüre. Es wird für die kommenden Jahre als das Standardwerk zur Historiographie Namibias werden und bleiben.

Gut lesbar, verständlich geschrieben, leitet es mit einem sehr guten Kapitel von John Kinahan zur archäologisch erfassten Frühgeschichte Namibias ein. Dass dieses Kapitel Eingang in das Buch gefunden hat, ist an sich lobenswert, weil es erstmals die oft durchgeführte Trennung von Zeiträumen, die sich auf Erkenntnisse der Archeologie stützen, und Phasen, die auf schriftliche Quellen zurückgreifen können, aufhebt. Kinahans Kapitel “Von Anfang an” ist von zentraler Bedeutung für das Buch, denn es deckt die Zeit vor der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts ab und macht die Ergebnisse neuester archäologischer Forschung einem breiten Publikum zugänglich.

Wallaces eigener Haupttext ist ebenso ausgewogen, sachlich, breit gefächert und bewertet und verarbeitet die bis dahin existierende Forschung zur Geschichte Namibias gekonnt.

Große Linien werden geschlagen und bedeutende Geschichtsphasen, in folgende Kapitel unterteilt: “Politik, Handel und Wandel. Süd- und Zentralnamibia von 1730-1870”, “Monarchie, Macht und Veränderungen. Der Norden, 1750-1907”, “Der Schatten des Schutzes, 1870-93”, “Unter deutscher Herrschaft. 1894-1903”, “Der Deutsch-Namibische Krieg, 1904-08”, “Die Errichtung einer deutschen Kolonie, 1908-15”, “Südafrikanische Herrschaft, 1915-46”, “Nationalismus und Apartheid, 1946-70”, “Freiheitskämpfe und die Abkehr von der Apartheid, 1971-90”.

Meisterlich beschreibt Wallace die Anfänge der Besiedlung und der gesellschaftlichen, politischen und regionalen Dynamiken, Wanderungen und Machtkämpfe bis hin zur Etablierung des modernen, heutigen Namibias. Auch werden die für Namibia wichtigen klimatischen und wetterbedingten Einflüsse mitverarbeitet. Ein nicht zu unterschätzender Faktor für Namibias Geschichtsverlauf.

Was trocken daherkommen könnte, bleibt frisch, Quellen und Literatur einordnend - dabei nie die einzelnen Geschehnisse und Entwicklungen moralisch bewertend, am Ende aber immer doch mit akademischem Herz geschrieben. Das Buch beschreibt und erklärt beispielsweise die Frühphase der Macht der Oorlam-Afrikaner und die Herausbildung einer Herero-Identität, die manche Historiker fälschlich als von je her gegeben ansehen. Wallace zeigt allerdings auf, dass diese Identität ein Result diverser sozialer, gesellschaftlicher, ökonomischer, geographischer, und klimatischer Ereignisse ist.

Klug beschreibt das Buch das Wechselspiel von internen und externen Faktoren, die zu bestimmten Ereignissen und gesellschaftlichen Gegebenheiten führten. So beispielsweise das System der Kontraktarbeiter und die gesellschaftlichen, politischen und klimatischen Bedingungen, die Arbeitskräfte in das verhasste System einspeiste. Die wechselwirksamen Faktoren von Außen- und Innenpolitik werden sehr deutlich im letzten Kapitel herausgearbeitet, in dem Wallace den Weg des Befreiungskampfes und das Erlangen der Unabhängigkeit beschreibt.

Wie in einem Buch dieses Umfangs zu erwarten, kann es nicht alle Aspekte tiefgreifend beleuchten. Dennoch spannt die Autorin den Erzählbogen gekonnt. Wallace kann über die großen Leitlinien eine zusammenhängende komplexe Geschichte widergeben, ohne dabei zu sehr verallgemeinernd zu sein, und kann oft einzelne Details in den Erzählrahmen einbauen.

Das Buch liest sich gut. Es eignet sich hervorragend als Einführungswerk in die namibische Geschichte. Gleichzeitig kann es als Referenzwerk dienen für andere Historiker, besonders die jüngere Generation, da es die nötigen Grundlagen und großen Linien nachzeichnet, dabei aber auch Hinweise für spezielle einzelne Themenfelder, bei denen weitere Forschung nötig sind, aufzeigt.

Der Politologe und Leiter der Dag Hammarskjöld Stiftung Henning Melber knüpft mit seinem Buch dort an, wo Historikerin Wallace aufhört.

Allerdings ist hier die Substanz eine andere. Hier schreibt ein Namibia-Kenner, der die Geschicke des Landes seit über 40 Jahren mitverfolgt, über die ersten 25 Jahre Namibias seit der Unabhängigkeit. Das Zielpublikum ist klar ein deutschsprachiges, was die Themen- und Kapitelauswahl verdeutlichen. Und, anders als Wallace, schreibt hier ein passionierter und emotionaler Wissenschaftler, der keinen Hehl aus seinen persönlichen Enttäuschungen über das bisher Erreichte macht. Der Autor bekennt: Das Buch präsentiert in 12 Hauptkapiteln die Sichtweise “eines am Unabhängigkeitprozess und der nachkolonialen Entwicklung Beteiligten”.

Und dies tut er in gewohnt kritischer Manier. Wer Melber kennt, weiß, dass “Namibia” kein gewöhnliches Forschungsfeld für ihn sein kann. Das ist dem Autor nicht vorzuwerfen, allerdings für neue Melber-Leser wichtig zu wissen.

Schon die Einleitung macht klar: “Wer ein Sachbuch erwartet – das – nomen est omen – sachlich nüchtern, distanziert und möglichst umfassend und neutral die diversen Themen und Sektoren einer herkömmlichen Gesellschaftsbeschreibung bearbeitet, wird enttäuscht.” Nichts anderes wird man von Melber erwarten.

Melber ist sauer. Sauer über das Nicht-Erreichte, was aus seiner Sicht möglich war. Sauer über den Zustand der namibischen Demokratie, sauer über das Nicht-Erkennen der Regierenden und die Ignoranz der Eliten, dass bestimmte Ideen wie soziale Gerechtigkeit eben in den letzten 25 Jahren nicht erreicht und teilweise als irrelevant befunden wurden, obwohl diese Ziele Teil des Narratives des Befreiungskampfes waren.

Die Kapitel, teilweise ein wenig lose aneinander gegliedert, behandeln so denn “die Befreiungsbewegung an der Macht”, “Demokratie à la Namibia”, und “Allmächtige und ohnmächtige Präsidenten”, sowie sozio-ökomische Aspekte und Ungleichheiten in “Armes reiches Land”. Auch wenn Melber erkennt, dass das bisher erreichte nicht wenig ist –  das Glas also auch halbvoll ist –,  ist es in Melbers  Erzählweise eben doch immer nur halb-leer. Den genannten Beispielen und Anekdoten kann man wenig entgegensprechen. Melbers Analysen sind richtig. Namibia ist und bleibt auch 25 Jahre nach Ende der Apartheid eine der ökonomisch ungleichsten Gesellschaften der Welt. Die Hoffnungen, die mit dem Erreichen der Unabhängigkeit verknüpft waren, haben sich nur für eine kleine Gruppe neuer (und alter) Eliten materiell verwirklicht. Diesen Umstand kritisiert Melber zu Recht, und er begründet seinen Zeigefinger mit den damit verbundenen Gefahren.

Mit dem Schreib-Ton, in dem Melber die sozio-ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen (Demokratie-)Defizite aufzeigt, mag der Leser sich anfreunden oder nicht. Vor dem Gehalt der Analyse darf man jedenfalls die Augen nicht verschließen. Melbers Observationen und Prognosen über Demokratie-Defizite, good (or bad) governance, bestehendes soziales Unrecht, und aktuelle Entwicklungen im Bereich Jugend-Arbeitslosigkeit und Protestbewegung und die allgemeine politische Kultur im Lande, müssen wir als Leser und Namibia-Interessierte zur Kenntnis nehmen, und daraus gezielte Handlungsanweisungen ableiten.

Melber beschreibt auch das heutige Namibia und Themenfelder, die v.a. Deutschsprachige interessieren dürften: “Im Schatten des Völkermords: Deutsch-Namibische Beziehungen”, “Schauplatz Windhuk”, “Der ver-rückte Reiter”, “Fremdenverkehrswelten. Dem Reiseland hinter die Kulissen geschaut”.  Es sind sicher diese “deutschen” Kapitel, die für ein deutsches Publikum von besonderem Interesse sind.

Marion Wallace: Geschichte Namibias. Von den Anfängen bis 1990. Basler Afrika Bibliographien/Brandes & Apsel Verlag, Basel/Frankfurt/M. 2015, 562 Seiten, 29,90 Euro.

Hennig Melber: Namibia. Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt/M. 2015, 216 Seiten, 19,90 Euro.

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