Prince Kum’a Ndumbe III.: Afrika ist im Aufbruch, Afrika ist die Zukunft
Bei diesem Text handelt es sich um den Eröffnungsvortrag von Prince Kum’a Ndumbe III. bei der Tagung "ÜberMorgen – Trendsetter Afrika", organisiert von der Universität Bayreuth – Institut für Afrikastudien (IAS) und der Stadt Bayreuth.
Verehrter Herr Oberbürgermeister der Stadt Bayreuth, Dr. Michael Hohl, Verehrter Herr Vizepräsident für Internationales der Universität Bayreuth, Prof. Dr. Stefan Leible, Verehrter Herr Direktor des Instituts für Afrikastudien / IAS der Universität Bayreuth, Prof.Dr. Achim v.Oppen, Verehrte Preisträgerin und liebe Schwester Madjiguène Cissé, Verehrte Damen und Herren,nIch kam als junger Schüler in dieses eure Land im Juli 1961, nach München, und konnte nichteinmal „Guten Tag“ auf Deutsch sagen. In diesem November 2011 lassen Sie mich von Kamerun einfliegen, damit ich in eurer deutschen Sprache den Eröffnungsvotrag zu „ÜberMorgen – Trendstetter Afrika“ im Audimax der Universität Bayreuth halte, wieder mal nach Bayern, auch wenn mancher Franke nach Napoleon verweist, um seine Zugehörigkeit zu Bayern zu beanstanden. Ich komme gerne in diese Stadt, zum Dialog. Frau Madigueye Cissé aus dem Senegal wird preisgekrönt, wegen ihrer ausserordentlichen Leistung und Hingabe im Kampf, Mauern abzubauen, dagegen aber Würde und Menschlichkeit zum Triumpf zu bringen. Auf eurem Boden, in Europa. Ich bin euren Eltern und Grosseltern dankbar, auch meinen deutschen Eltern, die ein Zueinander der Menschen verschiedener Völker als Notwendigkeit erkannten, den Weg mit Mut bereiteten, damit eine Madigueye Cissé erfolgreich in eurer europäischen Heimat den sesshaft gewordenen Einwanderern aus Afrika ein europäisches Zuhause ermöglichte. Meiner Schwester Cissé aus dem Senegal spreche auch ich besonderen Dank und hohe Anerkennung für ihr Engagement aus. Ich weiss aus eigener Erfahrung, was es bedeudet, seit Jahrzehnten als nur Gast in einem Land zu leben.
„Afrika ist im Aufbruch, Afrika ist die Zukunft“, schieb ich als Titel meines deutschverfassten Buches, das vor fünf Jahren in Berlin herauskam. Dieser Titel irritierte und irritiert immer noch manche, die Afrika als hilfsbedürftigen Almosenempfänger verinnerlicht haben, als aidsverseuchten Kontinent und ewigen Unruheherd, der nur durch ständige humanitäre Intervention des wohlwollenden Westen und Norden vor dem Untergang gerettet werden kann. Afrika, der dunkle Kontinent, die „tropische Ergänzung Europas“, wie manche noch vor dem Zweiten Weltkrieg planten, Afrika, diese entwicklungsgehemmte Postkolonie mit ruchlosen Diktatoren, dieser Katastrophenherd mit unbarmherzigen „Warlords“, dieses Afrika soll im Aufruch sein, dieses Afrika soll Zukunft bedeuten? Ich schrieb als Untertitel zu meinem Buch „An die Mitbürger der Einen Welt im anbrechenden 21. Jahrhundert – herausfordernde Reden zur Begegnung“ . Ich ging aber noch einen Schritt weiter. Ich bot der deutschen Leserschaft eine Anthologie an, und so dreizehn in Deutsch verfasste Bücher, Essais, Erzählungen, Theaterstücke mit meiner afrikanischen Sicht und Stimme über Europa, über Afrika, über die Welt, über die Wanderschaft zwischen den Kulturen und Kontinenten. Mir war nicht bewusst, dass ich einen Rollenwechsel anstiess, eine rote Linie überschritt. Der Deutsche, der Europäer, der Norden schreibt über sich selbst, über die Welt, über Afrika, über die Afrikaner. Nicht der Afrikaner schreibt über Deutschland, über Europa, über die Welt, über Afrika, und noch dazu für den Leser aus dem Norden, für den deutschen Leser. Und was passiert da auf einmal? Der lernende Afrikaner als Lehrender und Botschaftsträger? Ich provozierte ein Unbehagen unter manchen Intellektuellen in Deutschland, einigen Afrikaspezialisten hierzulande wurden diese Bücher zur Anbiederung, die Medien schwiegen und rezenzierten nicht. Die Leser aber kauften gut die Bücher, für sich, für Familienmitglieder, für Freunde. Die Nachricht sickerte durch, dass eine afrikanische Stimme ohne Ubersetzungsfilter im deutschsprachigen Raum eine nicht gewöhnliche Botschaft ankündigte und zur Begegnung einlud. Hier stehe ich vor Ihnen, heute, als Zeichen dieses Afrika im Aufbruch, mit einer Einladung zum kritischen Dialog. Ich freue mich ganz besonders, so in Bayern, meiner zweiten Heimat, auftreten zu dürfen.
1. Bevölkerungswachstum, ein Aufbruch der JugendnJuli 1961 – November 2011, Afrika zählte damals bei meiner ersten Deutschlandreise vor 50 Jahren 257 Mio. Einwohner, heute sind wir über 1 Milliarde Menschen mit der weltweit höchsten Geburtenrate von 3,4%. Im Jahre 2050, in nur 39 Jahren also, werden voraussichtlich 2 Milliarden Menschen den afrikanischen Kontinent bevölkern, 2,7 Milliarden sogar 2060, nach Prognosen der Afrikanichen Entwicklungsbank und der Weltbank . Jeder 5. Erdeinwohner wird in Afrika ein Zuhause haben, sagen uns die Projektionen der Weltbevölkerungstendenz. Bedenken wir, dass nach der Entvölkerung durch Sklavenrazzia und 16 Jahre nach der Berliner Kolonialkonferenz, im Jahre 1900 also, der afrikanische Kontinent nur 133 Mio. Eiwohner zählte, was eben nur 8,1% der Weltbevölkerung ausmachte. Im Jahre 2050 wird dieser Anteil auf 19,8% steigen, d. h. jeder fünfte Erdbewohner ist dann aus Afrika. Und diese afrikanische Bevölkerung ist jung, sehr jung. Über die Hälfte der Einwohner dieses Kontinents ist heute unter 30. In Tunesien sind die Jugendlichen 51% der Bevölkerung, in Ägypten 61% und im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, in Nigeria sogar 64,5%. Bei 2050 sollen 29% der jugendlichen Weltbevölkerung in Afrika leben, d.h. einer von 3,4 jungen Menschen weltweit lebt dann in Afrika. Diese Menschen leben und werden auch weiterhin in Afrika leben und nach ihrem Erdenglück suchen.
Ein Vergleich mit der Europäischen Union von 27 Staaten kann die Tendenz verdeutlichen. Die 501 Mio. EU-Einwohner am 1. Januar 2010 werden voraussichtlich 525 Mio. im Jahre 2035 sein, 526 Mio. im Jahre 2040 aber auf 517. Mio im Jahre 2060 zurücksinken. Dabei bilden Menschen mit 65 und mehr 17% der Bevölkerung im Jahre 2010 und schon 30% im Jahre 2060. Menschen mit 80 und mehr bilden dann in der gleichen Zeitspanne 5% und 12% . Die Entwicklungen sind also in Afrika und Europa entgegengesetzt. Wo leben denn diese Afrikaner oder Europäer heute oder in der Zukunft?
UNO Statistiken zufolge lebten im Jahre 2010 97% der Menschen weltweit in ihrer ursprünglichen Heimat, nur etwa 3%, also 214 Mio. wanderten aus. 70 Mio. Migranten, die in einem Land des Südens geboren wurden, leben in einem Land des Nordens, andere 70 Mio. dieser Bürger aus dem Süden wanderten in ein anderes Land des Südens aus, 59 Mio. Menschen aus dem Norden wanderten in ein anderes Land des Nordens aus, und 15 Mio. Bürger des Nordens wanderten in ein Land des Südens aus. Im März 2011 lebten von der einen Milliarde Afrikaner 30 Mio. im Ausland.
Das Verscheuchungsspiel mancher Politiker über die „Invasion der Barbaren aus dem Süden“ sollte uns angesichts dieser Statistiken nachdenklich stimmen.
Was Afrika betrifft, wandern die Afrikaner eher in ein anderes afrikanisches Land, auch in Kriegszeiten, als aus ihrem Kontinent aus. Die interne kontinentale Migration macht über 90% der gesamt afrikanischen Migration aus, die Migration ausserhalb Afrikas hält sich in Grenzen mit 10% der Migranten, davon gehen nach Europa 63% und nach Nordamerika 31%, der Rest in andere Regionen der Welt. Die Nordafrikaner allerdings wandern zu 90% ins nördliche Ausland, auch wegen der nahen Nachbarschaft zu Europa. Nach Angaben der Weltbank von 2011 wandern die afrikanischen Migranten zu 9% nach Frankreich, zu 8% in die Elfenbeinküste, zu 6% nach Südafrika, zu 5% nach Saudiarabien, zu 4% nach England, zu 4% in die USA, usw. Fazit: Die Afrikaner bleiben hauptsächlich bei sich zuhause. Nur muss dafür gesorgt werden, dass dieser Milliarde Menschen Zugang zu einer effizienten Bildung und Ausbildung vor Ort gewährt wird. Ich gebe als Beispiel nur die Entwicklung der Hochschullandschaft an.
2. Aufbruch in Bildung und Ausbildung im HochschulbereichnAls diese Länder unabhängig wurden, gab es dort kaum oder gar keine modernen Universitäten. In Dakar wurde die 1918 gegründete medizinische Schule am 24. Februar 1957 in eine universitäre Anstalt verwandelt, im Kongo gab es die Universität Lovanium und die offizielle Universität, in Uganda die Universität Makarre und in Nigeria die Universität von Ibadan. Mein Land Kamerun hatte noch keine Universität 1960. Seitdem aber sind bei uns neben 10 staatlichen Universitäten über 12 private universitäre Einrichtungen entstanden. Auch wenn die „Vereinigung afrikanischer Universitäten“ mit Mitgliedern aus 46 Staaten 270 Universitäten verzeichnet, kann man ruhig davon ausgehen, dass in vielen Ländern nicht einmal die Hälfte der universitären Einrichtungen in diese Vereinigung schon eingetreten ist, denn 2010 wurden 800 universitäre Einrichtungen in Afrika gezählt. Die Afrikanische Union bemüht sich um die Harmonisierung der Programme und plant die Gründung einer „Panafrikanischen Universität“, bestehend aus 5 Hauptzentren in Nord-, West-, Ost-, Zentral- und Südliches Afrika mit jeweils einem Schwerpunkt. Diese Hauptzentren sollen in einem Netzwerk mit anderen Universitäten in Afrika verbunden sein, die auf dem gleichen Gebiet arbeiten. Die 5 Schwerpunktwissenschaften in Lehre und Forschung sollen sich konzentrieren auf: Weltraum; Wasser-und Energie (inklusive Klimawechsel); Grundsatzwissenschaften; Technologie und Innovation; Natur-, Lebens- und Geowissenschaften (inklusive Gesundheit und Landwirtschaft); Gute Regierungsführung mit Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Detailplanung für die Lancierung der „Panafrikansichen Universität“ wurde am 13. Mai 2011 in Kenia vom Ministerrat der Afrikanischen Union für Erziehung verabschiedet und den Staatsoberhäuptern am 1.-2. Juli 2011 in Malabo vorgestellt.
Bitte bedenken wir: von kaum 10 universitären Einrichtungen 1960 zu 800 im Jahre 2010 bis zum Aufbau der panafrikansichen Universität heute, dies sind fundamentale Umbrüche.
Was bedeuten diese Statistiken? Seit 1960, dem Jahr vieler Unabhängigkeiten auf dem Kontinent, macht Afrika Riesenprünge in der Bevölkerungszahl, in der Zahl der Jugendlichen und in der Zahl der Ausbildungsstätten. Der Mensch ist das allererste Kapital eines Landes, der gut ausgebildete Mensch ist der Garant des Fortschritts in diesem Land. Diese Umbrüche verändern das Gesicht des Kontinents in einem sehr schnellen Rhythmus. Auch wenn man die Qualität der Ausbildung der Menschen für einen effizienten Einsatz noch mancherorts bemängeln darf, kann man die enormen Fortschritte der letzten Jahrzehnte nicht mehr unterschätzen. Gerade der Norden schöpft voll aus den afrikanischen graduierten Migranten, zumal im Jahre 2000 jeder 8. graduierte aus Afrika doch in einem OECD-Land lebte, meistens nachdem er eine akademische Ausbildung in seinem Land genossen hatte. In seiner Dakar-Rede vom 26. Juli 2007 sprach der französische Staatschef Sarkozy sogar von der „émigration choisie“, einer auserwählten Migration und zielte auf die ausgebildeten jungen Afrikaner ab. Die Erziehung und Ausbildung vom Kindergarten bis zur Universität wird in den kommenden Jahrzehnten einer grundlegenden Mutation unterzogen werden. Die einfache und unkritische Übernahme der aussenorientierten Lehrstoffe aus der ehemaligen Kolonialmetropole oder aus anderen Ländern des Nordens weicht allmählich einer afrikazentrierten Erziehung und Ausbildung, zur besseren Effizienz für die Entwicklung der Länder des Kontinents. Es wird also nicht mehr nur um Ausbildung gehen, sondern um die Hinterfragung und Überwindung der zur Unterenwicklung führenden Ausbildung, die den Auszubildenden jahrzehntelang in Afrika auch nach der Unabhängigkeit aufgezwungen worden ist. Die Frage wurde oft gestellt, wieso denn asiatische Länder nach dem Kolonialjoch es weitaus besser als die afrikanischen Staaten schafften, die Entwicklung anzukurbeln. Die Verwüstung im kulturellen und Erziehungs- wie im Ausbildungsbereich wurde dabei gar nicht hinterfragt.
Der eigentliche Aufbruch des neuen Afrikas basiert auf der afrikazentrierten Kultur zwischen Tradition und Postmoderne, auf der Afrikanischen Renaissance in Erziehung und Ausbildung, auf der Innovation vom internationalen Niveau zur Stillung der eigenen Bedürfnisse in Forschung und Technologie. Dies sind die Voraussetzungen und das fördernde Flussbett für eine nachhaltige wirtschaftliche Ankurbelung des afrikanischen Kontinents.
3. Wachstumsrate und Aufbruch in der Wirtschaft
Der Reichtum an Bodenschätzen in Afrika ist ja bekannt, auch wenn er diesen Ländern wegen der internationalen Konstellation und Machtgier immer wieder wie zum Fluch zu werden droht. 1/3 der Reserven aller Bodenschätze befinden sich auf dem afrikanischen Kontinent. 89% der Reserven für Platin, 81% für Chrom, 61% für Mangan, 60% für Kobalt, 46% für Diamanten findet man in Afrika. Gold wird zu 21% in Afrika ausgeschöpft, Uran zu 20%, Ölreserven belaufen sich auf 10%, 15% der Produktion sollen 2020 aus Afrika kommen. Andere Mineralien wie Koltan, Niobium, Bauxit, Blei, Kupfer, Eisen, usw. sind je nach Region von entscheidender Bedeutung. Es gibt also objektiv genügend Rohstoffe, um der Wirtschaft Afrikas eine gewisse Autonomie bei der eigenen Ankurbelung zu gewähren. Die afrikanischen Länder sind noch nicht in der Lage, selbst diese Rohstoffe auszubeuten, sie gewähren eher ausländischen Firmen aus den Industriestaaten Schürfrechte und verdienen an diesen Konzessionen. Die meisten Länder sind auch zu klein und technologisch wenig entwickelt, um eigene Schürfeinrichtungen aufbauen zu können.
Die Einnahmen aus den Schürfrechten, der Handel mit anderen Rohstoffen, der Aufbau der Kleinindustrie gekoppelt mit dem Verbrauch der Haushalte und den Investitionen erlauben in den letzten Jahren, eine ansehnliche Wachstumsrate in Afrika zu verzeichnen. In der Eurozone erwartete man vor der jetzigen Krise für 2011 eine Wachstumsrate von 1,7% und 2% im Jahre 2012, in den USA 2,2% für 2011 und 3,1% für 2012, in Japan 1,7% und 1,3% jeweils. Das Bild in Afrika sieht jedoch anders aus. Die Länder des „arabischen Frühlings“ haben momentan einen Rückschlag erlitten, Ägypten wird von -1,2% auf 1,8% im Jahre 2012 springen, Tunesien erwartet nach den Umwälzungen von 2011 eine Wachstumsrate von 3,9% im Jahre 2012, Marokko ist auf 4,6% schon dieses Jahr. Algerien steigt von 2,9% 2011 auf 3,3% 2012. Südafrika steigt aus einer gewissen Rezession von 3,4% jetzt auf 3,6% nächstes Jahr. Die drei Ölländer Nigeria, Angola und Tschad erwarten 6% für 2011, sogar 7, 25% für 2012. Das mit Krieg erschütterte Côte d’Ivoire verzeichnet 2011 –5,8%, der IWF erwartet aber 8% für 2012. Auch in Libyen nach dem Krieg und den Wiederaufbaugeschäften von 200 Milliarden $ wird ein Aufschwung erwartet. Das Musterbeispiel aber bleibt Ghana mit einer Wachstumsrate von 13,5% dieses Jahr. In diesem Jahr, und so erwartet der IWF auch für 2012, werden viele Länder in Afrika die stärkste Wachstumsrate der Welt verzeichnen.
Die Tendenzen zeigen deutlich, dass die Wirtschaft in Afrika wohl positiv und gewinnbringend angekurbelt werden kann, auch wenn man von einem anfänglich niedrigen Wirtschaftsniveau ausgegangen ist. Das Negativbild der afrikanischen Wirtschaft bedarf in der öffentlichen Meinung des Nordens einer Kurskorrektur.
Der Aufbruch in der Wirtschaft darf sich aber allein nicht aus der Wachstumsrate messen lassen. Es ist erkannt worden, dass Afrika ein sehr reicher Kontinent ist, dass die Bevölkerung jedoch seit Jahrhunderten strukturell arm gehalten oder armregiert wurde. Die neue Entwicklung zeigt nun aber deutlich, dass diese strukturelle Armut in einem reichen Umfeld vorhersehbare Explosionen angefangen hat auszulösen. Eine Milliarde Menschen bestehend aus über 50% Jugendlichen unter 30 Jahren, die auf einem Kontinent mit 1/3 aller Bodenschätze leben, einem Kontinent mit der höchsen Wachstumsrate, wird nicht mehr lange hinnehmen, in Armut gezwungen zu werden. Diese Bevölkerung hat auch bis in die ganz unten stehenden Schichten erkannt, dass diese strukturelle Armut sowohl von ausländischen Mächten oder multinationalen Firmen, als auch von einheimischen kleinen Gruppen künstlich gehalten wird, um der gnadenlosen Plünderung des Landes einen freien Raum zu schaffen. Diese Bevölkerung hat auch erkannt, dass trotz aller internationalen Propaganda sie sich ein eigenes, selbst gewünschtes und gewähltes politisches System im ihrem Land nicht einrichten, geschweige denn an die Macht bringen darf. Auch das politische System muss importiert werden oder so gestaltet sein, dass die gnadenose Plünderung und die strukturelle Armut nicht in Frage gestellt werden können. Die Bevölkerung muss so in Abhängigkeit gehalten werden, dass sie immer um Hilfe und Almosen bitten muss, um überhaupt überleben zu können. Sie wird in Schranken des vom Staat nicht geförderten informellen Sektors verwiesen, genauso wie in der Kolonialzeit, als es darum ging, Wirstschaftszeige zu fördern, die als Zulieferer der Kolonialmetropole in der neuen Arbeitsteilung zwischen Afrika und Europa galten. Die einseitige Rolle des Rohstofflieferanten und des Energiespeichers für den Norden führte zu einer Restrukturierung der einheimischen Wirtschaft, die nur noch mit Zwang aussenorientiert wurde. Und dieser koloniale Zwang bedurfte einer strukturellen Korruption, um nachhaltig umgesetzt werden zu können. So kommen und bleiben oft an der Macht einheimische Führungskräfte, die sich wie ausländische Plünderer erbarmungslos verhalten. Nur weh, wenn sie sich nicht mehr bedingungslos dem Westen beugen.
Gerade in diesem Jahr 2011 ist dieses Dilemma der afrikanischen Bevölkerung in den Ländern des „arabischen Frühling“, in Côte d’Ivoire und in Libyen noch deutlicher geworden.n4. Aufbruch für neue Regierungssysteme und Interventionen für das KriegsspielnDer arabische Frühling
Der Drang nach Freiheit, guter Regierungsführung, Gerechtigkeit, Transparenz und Rechenschaftspflicht ist ernorm in der afrikanischen Bevölkerung. Dass Unruhen, Schrei nach Demokratie, Rücktritt der Staatsoberhäupter in Tunesien, Ägypten, Syrien, Ermordung im Krieg des libyschen Staatschefs jedoch nicht nur spontane Bewegungen einer nach Freiheit lechzenden Bevölkerung waren oder sind, wird sich noch zeigen. Gerade die Zone des arabischen Mittleren Osten hat Ölreserven von 60% weltweit und nimmt den Platz Nr. 1 auch für die Produktion ein. Die Länder mit islamischer Bekennung wie Saudi Arabien, Irak, Iran, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate, Quatar, Yemen, Libyen, Nigeria, Algerien, Kazachstan, Azerbaidjan, Malaysia, Indonesien und Brunei besitzen zwischen 66,2% und 75,9% aller Weltreserven an Öl. Von den weltweit bekannten 1200 Milliarden Barrel Ölreserven sind in Saudi Arabien 264 Milliarden Barrel, im Iran 137 Milliarden, im Irak 115, in Kuwait 101, in den Vereinigten Arabischen Emiraten 98, in Lybien 46,6, in Ägypten 4,6 Milliarden Barrel. Israel könnte hier jedoch eine Revolution einsetzen, sollten die Forschungen des Israël Energy Initiative (IEI) unter Dr. Harold Vinegar zum erfolgreichen Ergebnis führen und aus Israel ein führendes Ölland in der Region machen.nDie Frage ist: Wer zeigt sich dem Westen gegenüber freundlich für die Schürfrechte? Sein politisches System ist dann strategisch nicht gefährdet. Wer aber leistet Widerstand? Bei dem wird dann westliche „Demokratie“ mit Waffen von aussen aufgezwungen oder es gibt interne Umwälzungen, die ihn zur Flucht zwingen. Dass die Wahlen in Tunesien zugunsten der islamischen Partei ENNADA ausging, wie früher die FIS in Algerien – dieses Experiment wurde noch rechtzeitig gestoppt – verunsichert westliche Kreise, für die der Islam mit westlichem Demokratieverständnis nicht zu vereinbaren ist. Geht es also um Demokratie oder um Sicherung der Ölreserven und der strategischen Rohstoffe? Man kann sich ja noch im Irak an die nie gefundenen Massenvernichtungswaffen erinnern.nCôte d’Ivoire und Libyen
Im Westen wurde der Krieg in Côte d’Ivoire als Krieg zur Rettung der Demokratie, und in Libyen als ein Krieg zur Rettung der Bevölkerung vor dem eigenen diktatorischen Staatschef an die öffentliche Meinung vekauft. Früher galt im Ost-West-Konflikt die Zugehörigkeit eines afrikansichen Landes zu einer Gruppe als Grund genug, von der anderen Seite geächtet oder bekriegt zu werden. Patrice Lumumba, der nicht einmal Kommunist war, aber die Interessen seines Landes wahrzunehmen gedachte, wurde kaltblütig von der CIA ermordet. Eine Zeit lang war nach dem Fall der Berliner Mauer der Westen der einzig weltweit bestimmende. Mit dem Austeigen der Länder wie China, Indien und Brasilien entstehen Polyzentren der Weltentscheidungen, und diese Konkurenz schlägt sich radikal in den Kampf um Kontorolle der Ölreserven und der strategischen Rohstoffe nieder. Laurent Gbagbo, der dem Westen und vor allem Frankreich nicht mehr den absoluten Vorrang geben wollte, musste unter blutigen Massakern ins Gefängnis. „La Côte d’Ivoire n’est pas une sous-préfecture de la France“ (Côte d’Ivoire ist kein Unterbezirk Frankreichs) hatte er zu sagen gewagt.nBei Ghaddafi ging es nicht nur darum, dass er Hoheit über die Ölreserven seines Landes behalten wollte und vor allem China ins Land brachte, er finanzierte auch tatkräftig die Afrikanische Union mit dem Ziel, eine Zentrral- oder föderative Regierung für ganz Afrika zu bilden. Ganz konkret errichtete er in Syrte, Libyen, die Afrikanische Investitionsbank, einen Afrikanischen Währungsfonds mit Sitz in Yaoundé, Kamerun 2011, eine afrikanische Zentralbank in Abudja, Nigeria, mit dem Plan, schon 2012 eine einheitliche Währung für den afrikanischen Kontinent ins Leben zu rufen. Dies bedeutet, dass Ghaddafi durch die Vereinigung aller afrikanischen Staaten den Einfluss des Westens, des Nordens oder ausländischer Multis in Afrika entscheidend zurückgedrängt hätte. Damit hätte das geeinte Afrika schon in den nächsten Jahren ein gemeinsames Sprungbrett gehabt, Bevölkerunszuwachs, Rohstoffreserven und Wachstumsrate nachhaltig zu optimieren. Die Idee der Vereinigten Staaten von Afrika, die in den 50er-Jahren vor den Unabhängigkeiten von Politikern wie Kwame Nkrumah, Sékou Touré, Patrice Lumumba oder Kaiser Hailé Selassié getragen wurde, konnte von Ghaddafi ganz konkret zur baldigen Umsetzung finanziert werden. Auch er musste durch den Tod zahlen, weil der Westen dies in Afrika noch nicht zulassen kann.nFolgende Fragen bleiben in diesem Jahr 2011 zentral für alle Afrikaner und für ihre Staaten:
1- Wie können wir eigengedachte politische Systeme basierend auf unserer Kultur und Anschauung der Welt bei uns erfinden und einführen, ohne dass der militärisch starke Norden vor allem unter der NATO eingreift und ein uns fremdes politisches System aufzwingt?
2- Wie können wir unsere Bodenschätze und Rohstoffe zuallererst für unsere Bevölkerung und für die Entwicklung unserer eigenen Wirtschaft einsetzen, ohne dass seitens der NATO ein militärischer Konflikt unter dem Deckmantel der Mensschenrechte, der Demokratie und der Freiheit ausgelöst wird?
3- Wie kann Afrika eigene wirtschaftliche Bedürfnisse stillen und Wachstum anhalten, und gleichzeitig dem Westen, sowie den neuen rohstoffbedürftigen wirtschaftlich aufsteigenden Ländern gerecht werden, ohne dass ein internationaler flächendeckender militärischer Konflikt ausgelöst wird?
4- Wie können wir Politiker an die Macht bringen, die dem eigenen Volk rechenschaftspflichtig sind, wenn nötig abgewählt werden können, ja Politiker, die dieses Afrika im Umbruch als Chance für die Welt, als Zukunft neu zu gestalten gedenken?
Zum Ausklang: Die Vergöttlichung des Geldes im nationalen und internationalen Verkehr
Wir haben Geld im nationalen Verkehr miteinander und in den internationalen Beziehungen vergöttlicht. Geld ist das A und O auf der Welt geworden. Geld ist Gott. Geld, Macht, Werte: Aus diesen drei Wörtern entsteht ein kurzer, erschütternder und nüchterner Satz, nämlich: Geld macht Werte. Ich greife dich an, ich töte dich, weil ich deine Familie vor dir retten will. Dann kassiere ich die Dividenden ein. Die Welt wohnt einer Modernisierung, ja einer Spitzentechnologisierung des Raubrittertums mit feinster Manipulation der öffentlichen Meinung bei.
Wie können wir, Sie hier in Europa und im Westen, wir bei uns in Afrika und im Süden, aus dieser Sackgasse des sich mit modernsten Waffen Niederschlachtens herauskommen? Es gibt saubere Kriege nur am Fernsehen mit den zensierten Bildern. Aber diese Feinheit beim Mord mit Dronen, vor Ort, vor den Augen der eigenen Kinder, die dann auch zerfetzt werden, wegen Öl, wegen Uran, wegen Koltan, im Namen der Freiheit und der Demokratie, ja diese Feinheit beim Mord, wie lange wird sie noch toben können, ohne dass die Schwachen mit Verzweiflungswaffen zurückschlagen?
Afrika ist im Aufbruch, wir tragen die Jugend, die Jugend trägt die Zukunft und Zukunft verlangt Gerechtigkeit, Hoffnung und Harmonie mit der Schöpfung. Wieso können wir Menschen, mit all dem Wissen um die unendliche Weite der Milchstrasse und der anderen Strassen im All, mit all dem Wissen um die Winzigkeit unserer Erde, wieso erlauben wir uns immer noch, so kurzsichtig, wenn nicht blind zu gestalten, zu planen und zu handeln, als gäbe es nur mich, das machtbesessene, egoistische, sich selbst verherrlichende Ich, das glaubt, doch zu übeleben, auch wenn dieses Ich alles andere vernichtet? Die Schöpfung zeigt sich doch jeden Tag, spätestens beim Aufmachen unserer Augen beim Morgenlicht, in ihrer Schönheit, ihrem Gleichgewicht und ihrer Unendlichkeit; wir aber wollen den Gesetzen der Schöpfung hartnäckig widerstehen und nach eigenem Gutdünken den Lauf der Dinge auf der Welt mit menschlicher Unzulänglichkeit gestalten. Als wären wir die Erstgeborenen im Universum. Wir aus Afrika mahnen zur Rückbesinnung, wir sind die Wiege der Menschheit, es gilt, diese Menschheit zu sich selbst zurückzurufen, auch in diesem Zeitalter der ungeahnten technischen und technologischen Errungenschaften: Ihr seid nicht der Meister, unterstellt euch der Weisheit der Schöpfung und des Schöpfers. Wir können dann Sprünge in die Postmoderne machen und Harmonie in uns und zwischen uns zurückrufen. Die Entscheidung liegt in unserer aller Hand.nDouala/Bayreuth, den 11. 11.2011nCopyright: Prince Kum’a Ndumbe III., Universitätsprofessor Université de Yaoundé I, Fondation AfricAvenir International