Süddeutsche Zeitung: Wie Weltbank-Projekte den Ärmsten schaden

Im vergangenen Jahrzehnt haben etwa 3,4 Millionen Menschen ihr Land oder einen Teil ihrer Lebensgrundlage verloren. Tausende wurden aus ihren Häusern vertrieben, viele leiden bis heute unter den Folgen großer Mammut-Projekte. Die Süddeutsche Zeitung stellt eine Übersicht von Menschenrechtverletzungen der Weltbank im Form von einer interaktiven Landkarte dar.n

  • Bei von der Weltbank finanzierten Infrastrukturprojekten in Afrika werden Armutsviertel zum Teil ohne Vorwarnung niedergewalzt. Bewohner werden zwangsweise umgesiedelt oder obdachlos.
  • Durch Projekte der Weltbank haben im vergangenen Jahrzehnt 3,4 Millionen Menschen ihr Land oder einen Teil ihrer Lebensgrundlage verloren.
  • Die Weltbank soll eigentlich Armut durch die Finanzierung von Infrakstrukturmaßnahmen bekämpfen. Deutschland ist viertgrößter Geldgeber der Institution.
  • Menschenrechtler kritisieren, Deutschland mache seinen Einfluss nicht geltend, um schädliche Projekte zu verhindern.
  • Nach Veröffentlichungen über die Folgen der Weltbankprojekte gelobten die Verantwortlichen Besserung. Doch Menschenrechtsorganisationen kritisieren, geplante Änderungen könnten alles noch verschlimmern.

nVon Sasha Chavkin und Katrin LanghansnSie kamen mit Bulldozern und schrien: "Wenn dir dein Leben lieb ist, dann hau ab!" Sie rissen die Hütte ab, die ganze Nachbarschaft. Bimbo Omowole Osobe verlor in dem Chaos den Überblick, sah ihre Kinder nicht mehr und floh mit tausend anderen, die griffen, was sie in der Schnelle retten konnten. Als sie wenige Stunden später zurückkehrte, hatten die Bulldozer ihre Heimat, einen Slum in der Region Lagos in Nigeria, komplett niedergewalzt.nNiemand hatte Osobe vorgewarnt.nSie stand da, sah Trümmer, soweit ihr Auge blicken konnte, und fühlte sich, als hätte sie ein Kind verloren. Das war im Februar 2013, als die Regierung von Lagos ihren Slum zerlegte und Osobe das bisschen Hab und Gut, das sie besaß, verlor. Tausende Menschen wurden über Nacht obdachlos.nDie Regierung des Staates Lagos hatte den Slum zerstört für ein Infrastrukturprojekt, das die Lebensbedingungen der Menschen verbessern sollte. Ein Projekt, finanziert mit einem Kredit der Weltbank. Eben jener Sonderorganisation der Vereinten Nationen, deren Ziel es ist, weltweit Armut zu bekämpfen.nSeit mehr als drei Jahrzehnten sollen eigentlich Schutzmaßnahmen die Rechte der Völker schützen. Menschen müssen bei einer Umsiedlung vorgewarnt werden. Und es muss ihnen in der neuen Siedlung mindestens genauso gut gehen wie zuvor.nIn den Bankstatuten steht, "do no harm", verursache kein Leid. Die Bank hat ihr Versprechen gebrochen. Und das nicht nur einmal.nIm vergangenen Jahrzehnt haben etwa 3,4 Millionen Menschen in mehr als 900 Projekten der Bank ihr Land oder einen Teil ihrer Lebensgrundlage verloren. Tausende wurden zwangsumgesiedelt, es gab heftige Auseinandersetzungen, es gab Vergewaltigungen, es gab Morde. Die Bank hat die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt nicht ausreichend geschützt. Oft weiß sie nicht einmal, wie viele Menschen umgesiedelt wurden, geschweige denn, wie es ihnen geht. Die Recherche zeigt: Die Weltbank muss sich tiefgehend ändern, wenn sie ihren Idealen genügen will.nOft fehlen Umsiedlungspläne, oft werden Völker bei der Planung vergessen. Die Umsetzung der Schutzmaßnahmen? Überlässt die Bank dem Kreditnehmer.nFast ein Jahr lang hat ein Team des Internationalen Konsortiums für Investigative Journalisten (ICIJ), darunter auch Reporter von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung, 6600 Dokumente untersucht. Mehr als 50 Journalisten aus 21 Ländern haben Hunderte Interviews geführt und Projekte in Ländern wie Uganda, Äthiopien, Kosovo und Indien besucht.nDie Weltbank wurde 1944 in Bretton Woods gegründet und ist keine Bank im eigentlichen Sinne. Sie ist eine der weltweit größten Finanziers von Entwicklungsvorhaben und vergibt Kredite, damit Krankenhäuser, Schulen oder Staudämme in Entwicklungs- und Schwellenländern gebaut werden können. Sie soll den Armen helfen.nMehr als 65 Milliarden US-Dollar flossen 2014 in Projekte weltweit. Deutschland ist nach Großbritannien, den USA und Japan viertgrößter Geldgeber. Alle drei Jahre bezuschusst die Bundesregierung die Bank, zuletzt 2014 mit 1,6 Milliarden Euro. Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) beteiligen sich jährlich mit etlichen Millionen an Weltbankprojekten.nAls einer der größten Geldgeber hat Deutschland einen von 25 Sitzen im Board, das über jedes Weltbankprojekt abstimmt. Deutschland hat nach Angaben des Entwicklungsministeriums eine "herausgehobene Stellung" und ein "besonderes Gewicht und Einfluss auf Entscheidungen der Weltbankgruppe". Zwar kann Deutschland allein Projekte nicht verhindern, es sei aber ein "deutliches Zeichen" an das Management der Bank, wenn die Bundesrepublik ein Vorhaben ablehne.nSeit Ende 2013 hat Deutschland das nur ein einziges Mal getan, bei einem umstrittenen Energieprojekt.nDas Entwicklungsministerium erklärte, es spreche Kritik in der Weltbank "im Wesentlichen in Vorgesprächen und bei informellen Beratungen" an.n"Deutschland hält auf dem Papier Menschenrechte hoch. Wird aber still, wenn es konkret wird", sagt Knud Vöcking, Mitglied der Menschenrechtsorganisation Urgewald. Er beschäftigt sich seit 13 Jahren mit der Weltbank. Selbiges bemängelt auch die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.nDie Weltbank investiert oft in strittige Unternehmen. Zum Beispiel vergab die Weltbanktochter IFC im Jahr 2009 einen Kredit an den Palmölhersteller Dinant. Zu einem Zeitpunkt als bereits bekannt war, dass heftige Landkonflikte in der Region Bajo Aguán in Honduras herrschen. Bis heute sind dabei schätzungsweise hundert Menschen umgekommen.nIn Indien verschmutzt ein von der Weltbanktochter IFC finanziertes Kohlekraftwerk das nahegelegene Gewässer. Menschen, die auf die Fischerei angewiesen sind, klagen über den starken Rückgang der Bestände. In Äthiopien wurden mit Geldern der Weltbank Tausende Menschen zwangsumgesiedelt, Männer wurden verprügelt und Frauen vergewaltigt.nKonfrontiert mit den Rechercheergebnissen gestand die Weltbank im März schwere Fehler ein. Viele Projekte seien in der Vergangenheit schlecht bis gar nicht dokumentiert worden, hieß es. "Wir haben unsere Arbeit in diesem Bereich kritisch untersucht, und was wir herausgefunden haben, erfüllt mich mit großer Sorge", sagte Weltbankpräsident Jim Yong Kim. "Wir müssen und wir wollen es besser machen." Die Weltbank räumte ein, oft nicht zu wissen, wie viele Menschen von den Projekten betroffen sind. Aus einem internen Prüfbericht geht sogar hervor, dass Bankmitarbeiter in 60 Prozent der untersuchten Fälle nicht dokumentiert hatten, wie das Leben der Umgesiedelten weiter ging.nDas Ausmaß mag die Weltbank überrascht haben. Aber schon seit Jahren weiß sie, dass es in ihren Projekten zu Menschenrechtsverletzungen kommt. In einem Bericht Mitte der neunziger Jahre steht, dass 2,5 Millionen Menschen binnen acht Jahren ihr Land verlassen mussten, viele davon unfreiwillig. Man solle "wenn möglich" Zwangsumsiedlungen vermeiden und könne die Zahl der Betroffenen minimieren, hieß es schon damals. Vielen ohnehin schon armen Völkern ginge es "schlechter als zuvor".n"Was nützen gute Standards, wenn man sie nicht einhält?", sagt der Menschenrechtler Knud Vöcking.nNichtregierungsorganisationen kritisieren, dass die internen Strukturen der Weltbank darauf ausgelegt seien, Profit zu fördern, auch um sich in Konkurrenz mit neuen Entwicklungsbanken wie der Entwicklungsbank der BRICS-Staaten oder der Asia Investment Bank, zu behaupten. "Das Problem sind die Anreiz-Strukturen für die Mitarbeiter. Derjenige wird befördert, der das meiste Geld schnell abfließen lässt", sagt Vöcking. Völkerrechte seien oft nebensächlich. In einer internen Befragung der Weltbank gaben 77 Prozent der Mitarbeiter an, dass das Management ihre Bemühungen um Schutzmaßnahmen nicht wertschätze.n"Oft profitieren Großunternehmen wie Halliburton oder Rio Tinto", sagt Vöcking. Auch die deutsche Wirtschaft hat einen nicht geringen Nutzen. Insgesamt lag das Auftragsvolumen deutscher Unternehmen in Weltbank-Projekten im vergangenen Jahr bei mehr als 300 Millionen US-Dollar.nSeit knapp drei Jahren überarbeitet die Weltbank die Schutzmaßnahmen für öffentliche Projekte, die sogenannten Safeguards. Der Prozess begann, kurz nachdem Kim den Weltbankpräsidenten Robert Zoellick abgelöst hatte. Damals sprach Jim Yong Kim von Leidenschaft, von Innovationen und der Zusammenarbeit, "allen voran, mit den Menschen, die in Armut leben". Die Kontrollen sollten strenger werden, die Kreditvergabe mehr auf den Klienten zugeschnitten.nJetzt liegt der erste Entwurf vor. Und 300 Organisationen weltweit laufen Sturm. In einem Statement schreiben unter anderem Oxfam, Amnesty International und Greenpeace: "Die neuen Regeln würden 30 Jahre Schutzpolitik zunichtemachen".nEinfach so.nDie Safeguards, sagen sie, werden schwächer, nicht stärker. Schwammige Formulierungen wie "angemessen" oder "wo es technisch und finanziell möglich ist" lassen dem Kreditnehmer Spielraum. Betroffene Völker können aus der Planung ausgeschlossen werden und Schlupflöcher ermöglichen es, die Safeguards zu umgehen. "Die lange Latte von Ausnahmen verwandelt das sichere Netz eigentlich nur noch in Löcher", sagt Vöcking. Dann könnten die Schutzmaßnahmen auch in der Theorie an Bedeutung verlieren. "Verwässert die Weltbank die Regeln, dann lockern auch andere Banken ihre Schutzmaßnahmen, weil sie sich an der Weltbank orientieren". Das hätte Folgen für Milliarden Menschen.nMenschen wie Osobe. In wenigen Stunden hatten die Bulldozer ihr Haus und ihre zwei Shops plattgewalzt und aus dem Wenigen, das sie hatte, war nichts geworden. Sie fand ihre drei Kinder wieder nach dem Chaos, aber wo sollten sie jetzt hin. Wo schlafen? "Ich war gezwungen, meine Kinder zu Verwandten zu schicken", sagt Osobe. Sie selbst schlief monatelang unter einem Tuch, ohne Dach über dem Kopf. Seit Mitte März übernachtet sie im Eingang einer medizinischen Klinik.nEin neue Hütte? Einen neuen Shop? Hat ihr die Weltbank nicht gezahlt.nMitarbeit: Giulia Afiune, Jeanne Baron, Ben Hallman, Michael Hudson, Jacob Kushner, Anthony Langat, Besar Likmeta, Friedrich Lindenberg, Musikilu Mojeed, Cécile Schilis-Gallego, Shane Shifflett, Elisabeth Weydt, Barry Yeoman

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