Energiekolonialismus: Auf Ungerechtigkeit gebaut (Lesetipp)

Ein Interview mit der Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen über die kolonialistischen Strukturen unseres Energiewesens – die auch Erneuerbare betreffen.

Auf Ungerechtigkeit gebaut

Robert Goldbach

Kolonialismus – da denken die meisten Menschen vermutlich an Raubkunst, Sklaverei oder auch nur an einen Möbelstil. Jedoch wäre eigentlich unser gesamtes Leben nicht ohne Ausbeutung von Ressourcen und Menschen im Globalen Süden denkbar, und das betrifft auch unsere Energiewirtschaft.

Eine, die sich dieses Thema genauer ansieht, ist die Sozialwissenschaftlerin und Aktivistin Imeh Ituen aus Berlin. Sie promoviert aktuell an der Uni Hamburg und schreibt über Themen der Energiegerechtigkeit aus macht- und rassismuskritischer Perspektive.

Interview

Du befasst dich in deiner Arbeit mit Energiegerechtigkeit und Energiekolonialismus. Was hat denn Energie mit Kolonialismus zu tun?

Sehr viel. In meiner Arbeit nehme ich eine historische Perspektive ein und zeige, dass unsere Energiesysteme seit Jahrhunderten geprägt sind von kolonialer Gewalt, von Ausbeutung von Natur und Menschen. Das fängt damit an, wie Energie produziert wird: Dies braucht mineralische Rohstoffe, Landflächen und natürlich auch menschliche Ressourcen zum Beispiel in Form von Arbeitskraft.

Auch erneuerbare Energie ist nicht immer sauber: Die Produktion von Wind- und Solarkraftanlagen erfordert erhebliche Mengen an Rohstoffen, die natürlich mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung verbunden sind.

«Unser Anspruch sollte eine nachhaltige und gerechte Energiewende sein. Das erfordert auch eine umfassende Auseinandersetzung mit den sozialen und ökologischen Auswirkungen entlang der gesamten Lieferkette.»

Imeh Ituen, Sozialwissenschaftlerin und Aktivistin

Du meinst also, dass die Energiewende mit einer dezentralen Erzeugungsstruktur die kolonialen Probleme nicht löst?

Eine dezentrale Erzeugung erneuerbarer Energie bietet zweifellos Potenzial für eine nachhaltigere und demokratischere Energieversorgung, dort wo sie genutzt wird. Dennoch ist auch eine dezentrale Erzeugung von erneuerbarer Energie nicht automatisch frei von kolonialen Kontinuitäten. Solarpaneele, die ja gerade auch im Zusammenhang mit Balkonkraftwerken viel Aufmerksamkeit erfahren, stehen in Verbindung mit Umweltverschmutzung durch den Abbau seltener Erden, Aneignung von indigenem und kommunalem Land und Ausbeutung von Menschen, insbesondere in den Rohstoffminen.

Gleichzeitig werden die Treibhausgasemissionen, die bei der Rohstoffgewinnung und Produktion von Windrädern und Solarpaneelen dem Produktionsland, nicht dem Nutzerland angerechnet. Wenn die hier gewonnene Energie hier als klimaneutral und ethisch „sauber“ erscheint, dann müssen wir uns fragen, welche Ausbeutung und Umweltbelastung ausgeblendet wird.

Unser Anspruch sollte eine nachhaltige und gerechte Energiewende sein, und das erfordert daher nicht nur ein Augenmerk auf eine dezentrale Erzeugung, sondern auch umfassende Auseinandersetzung mit den sozialen und ökologischen Auswirkungen entlang der gesamten Lieferkette. Weiterlesen

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